«Barbie» macht Greta Gerwig zum Star. Dabei war Durchschnittlichkeit ihr Erfolgsrezept (2024)

Durch die Hintertür ins Rampenlicht – Gerwig war einst die Königin der Low-Budget-Filme. Nun ist sie die kommerziell erfolgreichste Regisseurin der Welt. Ein Werdegang.

Nadine A. Brügger

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«Barbie» macht Greta Gerwig zum Star. Dabei war Durchschnittlichkeit ihr Erfolgsrezept (1)

Hundert Millionen Dollar drückte man Greta Gerwig in die Hand, um einen Film über eine Spielzeugpuppe zu machen. Es ist das gleiche Budget, das Christopher Nolan für sein Geschichtsstück «Oppenheimer» bekam. Das hat Ausnahmecharakter. Nicht weil es in dem einen Film um Barbie und in dem anderen um Bomben geht. Dass viel Geld im Spiel sein wird, wenn Mattels Verkaufsschlager auf die Leinwand kommt, war klar. Aber nur wenigen Frauen vor Gerwig wurde in Hollywood ein so grosses Budget anvertraut.

Aus dem Geld machte Gerwig einen Blockbuster in Pink, ein feministisches Manifest. Vor allem aber machte sie aus den hundert Millionen eingesetzten Dollar eine Milliarde. Damit ist Greta Gerwig nun die kommerziell erfolgreichste Regisseurin. Ein «Billion Dollar Babe», um es im Hollywood-Slang zu sagen. Nolans «Oppenheimer», der am gleichen Tag in die Kinos kam, spielte bis dato 552,9 Millionen Dollar ein.

Schaut man sich Greta Gerwig genauer an, wird eines klar: Diese Frau ist ziemlich normal. Das ist der Schlüssel zu ihrem Erfolg. Denn in Hollywood ist Normalität etwas Besonderes.

Greta greift nach den Sternen

Gerwig wuchs in Sacramento auf, dem Verwaltungszentrum Kaliforniens. Einer Stadt, die die meisten Touristen zugunsten von San Francisco oder Los Angeles auslassen. Gerwig sagt von sich, sie sei ein intensives Kind gewesen, voller Energie. Darum hätten die Eltern sie für fast jeden möglichen Schulsport angemeldet. Hauptsache, das Kind wird irgendwann müde. Als Erwachsene bekam sie die Diagnose ADHS.

Während die junge Generation in Hollywood sich häufig den Vorwurf des Nepotismus gefallen lassen muss, hat Gerwigs Familie keine Beziehungen ins Showbusiness. Die Mutter war Krankenschwester, der Vater Programmierer, nun sind beide in Rente. Aus den Geschwistern wurden ein Landschaftsarchitekt und die Geschäftsführerin einer Kommission für gleiche Karrierechancen. Greta, die Jüngste, griff nach den Sternen.

Im Jahrbuch ihrer Schule beantwortete Gerwig 2002 die Frage, wo sie sich in zehn Jahren sehe, mit: «Dann werde ich in New York leben und einen Woody-Allen-Film machen.» Als sie den Eltern bald darauf eröffnete, an der New York University Musical studieren zu wollen, schüttelten die nur lachend den Kopf. «Ich gebe sicher nicht 40000 Dollar im Jahr aus, damit du Stepptanzen lernst», hat die Mutter laut Gerwig gesagt.

Aus dem Traum vom Künstlerleben wurde ein Englischstudium, gekoppelt mit Philosophie, am Barnard College – immerhin nach New York war sie also gekommen. Sie zog um die Häuser, spielte ein bisschen Theater und dachte darüber nach, Anwältin zu werden. Unsicher sei sie oft gewesen in jener Zeit, sei es noch immer hie und da: wohin mit sich – im Alltag und im Leben. Davon sprach Gerwig oft in Interviews, denn sie weiss: Anderen geht es ähnlich.

Billige Filme für junge Leute

Sie überlegte sich, Dramaturgie zu studieren, wurde für das Programm aber nicht zugelassen und beschloss, es doch mit der Schauspielerei zu versuchen. 2006 lernte sie Joe Swanberg kennen, der mit wenig Geld, kurzen Drehbüchern und viel Improvisation Filme machte. Diese Art Indie-Film ist in den USA unter dem Namen «Mumblecore» bekannt. Gerwig sollte zu einer der wichtigsten Vertreterinnen dieses Genres werden.

«Lol» hiess Swanbergs Film, in dem Gerwig eine Nebenrolle bekam. «Lol» ist die Kurzform von «laughing out loud» – ein in Foren und Chat-Räumen oft benutzter Ausdruck für «laut herauslachen» – und damit Teil der Sprache der GenerationY. Der Titel ist auch eine Anspielung auf die Protagonistin Lola (Miley Cyrus): ein Teenager, verliebt und unverstanden, mitten im Erwachsenwerden oder, wie es der Amerikaner sagt: «coming of age». Ein Thema, das zu einem der Schlüssel von Gerwigs Erfolg werden sollte.

Während des Drehs wurden Swanberg und Gerwig ein Paar. Zwei Drehbücher schrieben sie in der Folge zusammen und führten auch gemeinsam Regie. «Hannah Takes the Stairs» erzählt die Geschichte einer jungen College-Absolventin (Gerwig), die zwischen drei Männern und der Frage wohin mit sich taumelt. «Nights and Weekends», ebenfalls mit Gerwig in der Hauptrolle, erzählt von einer Fernbeziehung mit all ihren Problemen und der Frage: wohin?

Die Angst einer Generation

Die Filme wurden nicht zu Kassenschlagern, aber prägend für ihr Genre, Mumblecore. Und prägend für die Beziehung, die ein meist junges Publikum zu Gerwig aufbaute.

Für ihre Geschichten schöpft Gerwig aus dem eigenen Leben. Denn ihre Sorgen spiegeln jene einer ganzen Generation. Angst, aus den vielen Türen, die einer mittelständischen Person nach Abschluss ihres Studiums offen stehen, die falsche auszuwählen oder mit der falschen Person eine Beziehung einzugehen – und damit etwas zu verpassen. Später sei die Angst gekommen, nicht zu genügen. Zwei TV-Serien, bei denen Gerwig die Hauptrolle hätte spielen sollen – darunter das erste «How I Met Your Mother»-Spin-off «How I Met Your Dad» – wurden nach der ersten Folge wieder verworfen.

Mit der Postadoleszenz beschäftigt sich Gerwig so treffsicher, dass das «New York Magazine» sie bereits 2010 «Sweetheart of Early-Adult Angst» nannte. Bald gehörte Gerwig selbst zum Erwachsenwerden der durchschnittlichen jungen Leute, die sie in ihren Filmen beschrieb. Die irische Autorin Sally Rooney, die den Zeitgeist atmet, wie kaum eine Zweite, schrieb in ihrem Roman «Conversation With Friends»: «Wir assen damals chinesisches Essen aus Pappkartons, sassen auf meinem Sofa und sahen uns halb einen Greta-Gerwig-Film an.» Rooney schreibt über durchschnittliche Menschen, die durchschnittliche Dinge tun.

Wie Rooney weiss Gerwig um die Kraft des Durchschnitts. Sie selbst ist hübsch, aber nicht wunderschön. Sie ist talentiert, aber kein Ausnahmetalent. Eine gute Schauspielerin, solange sie sich in Gebieten bewegt, die ihr vertraut sind. Keine hervorragende Charakterdarstellerin. Sie sei ehrgeizig in dem, was sie tue, und doch oft unsicher, ob der Weg, den sie gerade gehe, der richtige sei. Ihr Talent lag und liegt darin, zu erkennen, dass sie mit all diesen Erfahrungen und Sorgen nicht allein ist – diese Erkenntnis führt sie ihrem Publikum wieder und wieder vor. Und sie wurde dafür belohnt.

Sieg des Durchschnitts

2010 beschloss der Regisseur Noah Baumbach, die junge blonde Frau mit dem Durchschnittsgesicht und dem herzlichen Lachen zu engagieren. In «Greenberg» spielte Gerwig an der Seite von Ben Stiller, hatte plötzlich ein ausreichendes Salär auf ihrem Konto und am Set ihren eigenen Wohnwagen. «Es war ein Traum», sagte Gerwig nach dem Dreh in einem Interview. Zuvor hatte sie als Nachhilfelehrerin Geld dazuverdienen müssen. «Man kann viel Geld verdienen, indem man dumme, reiche Kinder unterrichtet», sagte sie dazu. Geradeheraus, wie so oft.

2012, eine Dekade nachdem Gerwig ins Schulbuch geschrieben hatte, in zehn Jahren werde sie in einem Woody-Allen-Film mitspielen, kam Allens «To Rome With Love» ins Kino – mit Greta Gerwig. «Es fühlt sich an, als hätte ich mich, ähm, irgendwie ins Schloss geschlichen», sagte Gerwig über ihren nun auch kommerziellen Erfolg.

Bevor aus dem Schloss ein Barbie-Traumhaus wurde, musste aus der erfolgreichen Schauspielerin Gerwig aber erst noch eine arrivierte Drehbuchautorin und Regisseurin werden. Das passierte erneut Hand in Hand mit einem Mann: Noah Baumbach, der Regisseur von «Greenberg», wurde ihr Partner im Leben und bei der Arbeit. Gemeinsam schrieben die beiden das Drehbuch zu «Frances Ha»: Eine junge Frau stolpert durch Geldsorgen, welkende Freundschaften und brachliegende Karriereträume. Baumbach führte Regie, Gerwig übernahm die Hauptrolle und wurde für einen Golden Globe nominiert.

Volltreffer

2017 kam dann der Volltreffer. «Lady Bird» vereint alles, was Gerwig bis dahin ausgemacht hatte. Mit Saoirse Ronan in der Hauptrolle erzählt der Film vom Erwachsenwerden in Sacramento, vom Sich-lösen-und-doch-dazugehören-Wollen. Von der Angst, den eigenen Weg nicht zu finden. Der Film holte fünf Oscar-Nominierungen, unter anderem für «bester Film», «bestes Drehbuch» und «beste Regie». Die Preise haben andere gewonnen, ein Sieg für Gerwig war es trotzdem. Nun war sie auch als Regisseurin zur Stimme einer Generation geworden.

Als das «Time»-Magazin Gerwig ein Jahr später zu einer der «einflussreichsten Personen 2018» kürte, schrieb Steven Spielberg über sie und ihren Film «Lady Bird»: «Es kommt nicht jedes Jahr vor, dass das Solo-Spielfilmdebüt eines Filmemachers einen mitreisst.»

Nun konnte sie sich als Regisseurin aussuchen, was sie machen wollte. Und machen wollte sie eine Buchverfilmung: «Little Women» kam 2019 in die Kinos. Obwohl eine andere Frau die Geschichte geschrieben hat, nämlich Louisa May Alcott, erkannte Gerwig sofort ihr Thema: Vier Schwestern werden erwachsen.

Angst und Erfolg

Kurz bevor «Little Women» ins Kino kam, sprach Gerwig in der amerikanischen «Vogue» über eine weitere Angst. Wieder traf sie damit das Empfinden vieler: «Ich hatte immer Angst davor, Mutter zu werden. Vor allem in Bezug darauf, was es für meine Möglichkeiten bedeuten würde.»

Während des Gesprächs schlief Gerwigs sechs Monate alter Sohn im Kinderwagen. Und Gerwig wusste bereits, dass sie das Drehbuch für «Barbie» schreiben würde. Die Schauspielerin Margot Robbie, Produzentin und Protagonistin des Films, hatte sie angefragt. Diese übernahm das Projekt gemeinsam mit ihrem Partner Baumbach. Erst später wurde Gerwig auch als Regisseurin engagiert.

So wurde aus der Königin des Mumblecore, aus dem personifizierten Durchschnitt, die Regisseurin von «Barbie». Einem auf Hochglanz polierten Film, der durch die Decke geht. Vielleicht, weil Barbie vor allem ein Spielzeug ist, das jeder kennt. Das viele einmal in der Hand hatten, bevor sie erwachsen wurden.

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