- X.com
- X.com
- Messenger
Zunächst machte sie vor allem als Schauspielerin auf sich aufmerksam: Ab 2006 war Greta Gerwig vor allem in US-amerikanischen Indie-Produktionen zu sehen. Aber schon 2008 gab sie mit "Nights and Weekends" an der Seite von Joe Swanberg ihr Regiedebüt. Mit ihrem ersten allein verantworteten Film "Lady Bird" landete sie zehn Jahre später einen Überraschungserfolg: Die autobiografische Coming-of-Age-Geschichte spielte knapp 80 Millionen Dollar ein und wurde für fünf Oscars nominiert. Seit dem 30. Januar ist nun ihre Neuverfilmung von "Little Women" nach dem Roman von Louisa May Alcott in den deutschen Kinos, mit dem vierfachen Budget von "Lady Bird" und dem Sony-Studio im Rücken - sowie sechs Oscarnominierungen, unter anderem als bester Film.
SPIEGEL: Frau Gerwig, eine historische Literaturverfilmung, zumal für Sony, hätte man bei Ihrem Karriereverlauf nicht erwartet. Wie kam es dazu?
Gerwig: Tatsächlich hatte ich die Drehbücher für beide Filme bereits geschrieben, bevor ich "Lady Bird" drehte. Also zwei Drehbücher hintereinander, dann zwei Filme hintereinander. Ohne die Erfahrungen aus "Lady Bird" hätte ich "Little Women" aber so nie machen können. Das war in weiten Teilen schon ein Sprung ins kalte Wasser.
SPIEGEL: Wie groß waren die Unterschiede bei den Dreharbeiten?
Gerwig: An der tatsächlichen Arbeit ändert sich gar nicht so viel, aber natürlich hatten wir mehr Ressourcen zur Verfügung, und die Tragweite des Stoffes war auch größer. Ich glaube, ich habe ziemlich bewusst verdrängt, welche Risiken ich hier eingehe. Wenn man zu viel darüber nachdenkt, macht es einem nur Angst.
"Little Women" von Greta Gerwig: Unverschämt weiblichVon Hannah Pilarczyk
SPIEGEL: Seitdem Sie für "Lady Bird" als erst fünfte Frau in der Geschichte für den Regie-Oscar nominiert wurden, gelten Sie als Symbolfigur für Fortschritt in der Filmbranche. Wie fühlen Sie sich mit dieser Rolle?
Gerwig: Wenn eine Frau eine neue Stufe von Erfolg erreicht, fühlt sich das immer aufregend für alle Filmemacherinnen in Hollywood an - wie ein Treffer für das ganze Team. Als Patty Jenkins "Wonder Woman" machte und der Film so ein Hit wurde, dachte ich auch nur: "Du hast es geschafft, Patty!" Jeder Erfolg zeigt auf, wie viel Möglichkeiten es für alle gibt und dass Filme von Frauen keine schlechten Investitionen sind.
SPIEGEL: Empfanden Sie nach dem Erfolg von "Lady Bird" Druck, einen größeren Film zu drehen?
Gerwig: Wenn überhaupt, fühlte ich eher Druck in die entgegengesetzte Richtung - nämlich einen kleineren Film zu machen.
SPIEGEL: Warum?
Gerwig: Manche glauben, dass man seine Handschrift verliert, wenn man einen Studiofilm macht, weil einem zu viel hereingeredet wird. Deshalb wurde ich dazu gedrängt, einen kleinen, unabhängigen Film zu machen - damit ich nicht "kompromittiert" werde. Ich wusste aber, dass das bei "Little Women" nicht der Fall sein würde.
SPIEGEL: Woher kam dieses Vertrauen?
Gerwig: Verglichen mit den Budgets anderer Studiofilme war es ja nicht so viel, als dass es die Bosse auf den Plan gerufen hätte. Hätte ich einen Film mit einem Budget von 100 Millionen Dollar gemacht, hätte das schon anders ausgesehen. Außerdem war mir klar, dass ich "Little Women" nicht ohne deutlich mehr Geld hätte machen können. Schließlich handelt es sich um einem Film mit Bällen, Eislaufen, Dinners und Partys!
Fotostrecke
"Little Women"
Foto: Wilson Webb
SPIEGEL: Die opulente Inszenierung in Ihrer Version von "Little Women" sticht wirklich ins Auge. Es herrscht eine Fülle von Emotionen, die Kostüme und Sets sind aufwendig, selbst Kuchen und Blumen gab es noch nie so viele. Wie kam es dazu?
Gerwig: Das ist zum einen in der Anlage des Drehbuchs begründet. Große Teile des Films stellen die Erinnerungen meiner Hauptfigur Jo March an ihre Kindheit dar. Und an seine Kindheit erinnert man sich immer viel intensiver, alles erscheint größer, strahlender, besser. Zum anderen wusste ich immer, dass der Film prachtvoll und reichhaltig und episch sein sollte - weil ich so auch Louise May Alcotts Buch empfunden habe. Außerdem wollte ich vermeiden, dass sich die Geschichte, auch wenn es um die Leben von Frauen geht, klein anfühlt.
SPIEGEL: In Ihrer Interpretation werden aus den vier March-Schwestern vier talentierte Künstlerinnen, nicht nur junge Frauen mit kreativen Vorlieben. Warum war es Ihnen wichtig, weibliche Exzellenz herauszustellen?
Gerwig: Mir fiel beim erneuten Lesen des Buchs auf, dass jede Schwester ihre eigene Kunstform hat und sie gewissermaßen genial darin ist. Daraufhin habe ich mich gefragt, was wohl mit vier genialen Mädchen im 19. Jahrhundert passiert sein könnte. Die Antwort: Nicht besonders viel, schließlich gab es kaum Handlungsspielraum für sie. Mir war es nun wichtig, die Ernsthaftigkeit ihrer Bestrebungen und ihrer Ambitionen hervorzuheben. Deshalb sagt bei mir Amy in ihrem Atelier: "Ich will großartig sein oder gar nichts." Das stammt direkt aus dem Buch! So was sagt man nicht, wenn es einem mit seiner Kunst nicht wirklich ernst ist.
SPIEGEL: Bei allem Überschwang und Nachdruck enthält Ihr Film auch eine melancholische Ebene: Sie blicken auf die Kindheit und Jugend der Schwestern zurück, die unwiederbringlich vorbei ist, die vier werden nie wieder zusammenkommen.
Gerwig: Genau, ihr Elternhaus ist eine weibliche Utopie, nach der sie sich als Erwachsene zurücksehnen. Das ist auch das Besondere am Buch: Das Abenteuer von "Little Women" führt die Mädchen nicht von zu Hause weg oder nach zu Hause zurück, es findet im Haus selbst statt, es ist das Glück, das die Schwestern gemeinsam erleben.
SPIEGEL: Gibt es für Sie einen zeitgenössischen Film oder ein zeitgenössisches Buch, der oder das eine ähnliche weibliche Utopie entwirft?
Gerwig: Das ist keine genaue Entsprechung, aber für mich erfüllt die neapolitanische Saga von Elena Ferrante eine ähnliche Funktion. Die zwei Hauptfiguren darin lieben übrigens, wie hätte es anders sein können, "Little Women"! Ferrante entwirft nun keine Utopie, bei ihr sind die Dinge weit weniger perfekt. Aber wie sie die Freundschaft zwischen Lenù und Lila beschreibt... als ich das las, dachte ich nur: "Das ist alles, was ich jemals ausdrücken wollte." Fast hätte ich danach keine Filme mehr machen wollen, so sehr hat Ferrante auf den Punkt gebracht, was Beziehungen unter Frauen für mich im Kern ausmachen.
SPIEGEL: Nachdem Sie sowohl eine Independent- als auch eine Studioproduktion gemacht haben: Wohin zieht es Sie mit Ihrem nächsten Projekt?
Gerwig: Das hängt allein von der Geschichte ab und wie ich sie erzählen möchte. Aber es ist ein tolles Gefühl, dass beide Möglichkeiten offen stehen. Steven Soderbergh war ein Vorreiter in Sachen Wechsel zwischen Indie- und Studioproduktionen. Ich weiß aber noch nicht, ob das auch mein Weg werden wird.